Dana Neumann: Fab Labs gibt es mittlerweile international, aber was genau ist eigentlich ein Fab Lab und woher kommt das Konzept?
Nicolai Hertle: Fab Labs, also Fabrication Laboratories, sind ein globales Netzwerk von Forschungslaboren und -werkstätten, die computergesteuerte Werkzeuge wie 3D–Drucker, Lasercutter und CNC-Fräsen dazu nutzen, digitale Repräsentationen von Objekten in physische dreidimensionale Objekte umzusetzen oder umgekehrt, z.B. durch das 3D–Scannen, dreidimensionale Gegenstände in Daten umzuwandeln. Dieses Netzwerk arbeitet daran, den Übergang zwischen Daten und physischen Produkten immer fließender zu gestalten.
Als Gründer der Fab Lab-Bewegung gilt Neil Gershenfeld, Professor und Leiter des Center for Bits and Atoms am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Im Jahr 2002 fand unter seiner Leitung erstmalig ein Kurs mit dem Titel „How to make almost anything“ statt. Dabei lernten die Studenten den Umgang mit computergesteuerten Produktionstechnologien und nutzten diese für die Umsetzung ihrer Ideen.
Der generelle Erfolg der Bewegung zeigt sich aber auch daran, dass es inzwischen weltweit über 500 Fab Labs gibt und viele weitere in Planung sind.
Dana Neumann: Wie muss ich mir ein Fab Lab als Teil des internationalen Netzwerkes vorstellen? Kann jeder einfach so eins gründen?
Nicolai Hertle: Es kann tatsächlich jeder ein Fab Lab eröffnen und es auch ganz offiziell so nennen. Die Anforderungen an ein einzelnes Labor als offizieller Bestandteil des globalen Netzwerkes sind in der vom MIT- Media Lab veröffentlichten Fab Charter zusammengefasst. Über diesen Verhaltenskodex hinaus sind die Ausstattung und die Kooperationsbereitschaft wichtige Kriterien zur Aufnahme in die offizielle Liste von operierenden Fab Labs. Nach der Gründung ist ein Fab Lab allerdings erst einmal mit der Einrichtung, der Einführung von Workshops und dem Aufbau einer Community vor Ort beschäftigt. Der tatsächliche Netzwerkanspruch kommt erst mit der Zeit zum Tragen.
Typisch für alle Forschungslabore ist außerdem die Nutzung der gleichen Hard- und Software. Durch diese technische Kompatibilität lässt sich die Arbeit, die an einem Ort begonnen wurde, andernorts ohne Komplikationen fortsetzen. Zur weiterführenden Unterstützung steht den Fab Labs u.a. die im Februar 2009 als Non-Profit-Organisation gegründete „Fab Foundation“ zur Verfügung, die das Netzwerk organisiert, mit Informationen unterstützt und bei der Ausrichtung von Veranstaltungen zur Förderung des Austausches hilft. Dazu kommt die Kooperation mit der Fab Academy, einer Vernetzung von lokalen Bildungsveranstaltungen, die für jeden frei zugänglich im Internet verfügbar ist.
(Anmerk. d. Red.: Richtlinien und Hinweise zur Gründung eines Fab Labs findet ihr hier.)
Im Gespräch mit Nicolai Hertle © Roboterwelt
Dana Neumann: Woher kam die Idee, das Fab Lab Berlin zu gründen und wie sahen die ersten Schritte aus?
Nicolai Hertle: Am Projekt „Fab Lab Berlin“ arbeite ich persönlich bereits seit über zwei Jahren. Zum ersten Mal gehört habe ich von dem Vorhaben aber im September 2012 bei einem Vortrag des eigentlichen Initiators Wolf Jeschonnek. Im Rahmen von „Sprechen über“, einer von Studenten der „weißensee kunsthochschule berlin“ initiierten Vortrags- und Diskussionsreihe, sprach er über seinen Entschluss, ein Fab Lab in der Spreemetropole zu eröffnen – Wolf war kurz zuvor von einer Forschungsreise aus den USA zurückgekehrt. Da bei mir noch ein Praxissemester ausstand und Wolf Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur brauchte, begann im April 2013 unsere Zusammenarbeit am Projekt „Fab Lab Berlin“.
Bald darauf wurden schon die ersten Maschinen angeschafft und die ersten Kurse abgehalten. Die Resonanz war so gut, dass wir nach nur drei Monaten innerhalb des Gebäudes in größere Räume umgezogen sind, unsere Organisationsstruktur weiterentwickeln, kompetente Partner gewinnen und unser Netzwerk ausbauen konnten. Die Liste der Nutzer des Fab Lab Berlin wurde dabei von Tag zu Tag länger.
Dana Neumann: Wie viel Kontakt hattet ihr beide zu dieser Zeit bereits zur Maker Szene bzw. zu den technologischen Möglichkeiten, die ein Fab Lab bietet?
Nicolai Hertle: Wolf wußte zu dieser Zeit schon einiges über die Funktionsweisen und Organisationsstrukturen von offenen digitalen Fabrikationsstudios, auch weil er während seiner Reise selbst in zahlreichen Makerspaces und Fab Labs gearbeitet hat. Ich dagegen war während meines Studiums viel in der CAD-Werkstatt der Kunsthochschule Weißensee unterwegs und habe dort meine Faszination für digitale Produktionsmittel entwickelt bzw. gelernt, mit den Techniken des Rapid Prototyping umzugehen.
Dana Neumann: Wo liegt der Unterschied zwischen der Maker-Szene in den USA und hier? Sind wir in Berlin auf einem Weg dorthin oder noch lange nicht?
Nicolai Hertle: Fab Labs in den USA haben ca. 8 Jahre Vorsprung. Das zeigt sich insbesondere bei der Ausstattung und der fortgeschrittenen Vernetzung untereinander. Dennoch hat Berlin durchaus seine Vorzüge, denn die Stadt bietet ausreichend unfertige und offene Räume, um kreatives Potenzial zu entfalten. Zum Beispiel finden sich in Kreuzberg und Nord-Neukölln zahlreiche Grassroots- und Co-Working Labs, während sich im Stadtbezirk Mitte wiederum Inkubatoren und unternehmenseigene Labs konzentrieren. Die dynamische Kreativszene und günstige Räume bieten hier einfach optimale Voraussetzungen.
Dana Neumann: Das Fab Lab ist gespickt mit Maschinen und Materialien jeglicher Art. Glaubt man den Angaben der Fab Foundation, setzt sich ein gutes Fab Lab gegenwärtig aus Equipment im Wert von rund 22.300 Euro bis ca. 58.000 Euro und Verbrauchsmaterial im Wert von 13.400 Euro bis 35.700 Euro zusammen. Wie habt ihr eure Ausstattung finanzieren können? Gab es Spenden oder musstet ihr auf Kredite zurückgreifen?
Nicolai Hertle: Wir haben mit dem Gründungskapital der GmbH die ersten Maschinen gekauft. Die laufenden Kosten und neue Investitionen wurden zunächst einzig durch Einnahmen aus Vermietung der Maschinen und Services gestemmt, also durch Events, Workshops, Prototyping etc.
Im Oktober 2013 kam dann Hans Dietl, der CTO der Firma Otto Bock, zu Besuch. Ihm gefiel, was er sah und hörte, und das Ergebnis einiger weiterer Treffen war der Entschluss, eine Kooperation anzustreben. Der Umzug in die größeren Räumlichkeiten (Anmerk. d. Red.: es erfolgte ein erneuter Umzug auf das Gelände der Bötzowbrauerei) ist beispielsweise erst durch unseren Kooperationspartner Otto Bock möglich geworden. Das Fab Lab Berlin hat dadurch eine sehr positive Entwicklung aus Sicht der Nutzer durchlaufen, und trotzdem sind wir weiterhin zu 100 % unabhängig. In Zukunft könnte auf dem Gelände der Bötzowbrauerei noch eine weitere Vergrößerung des Fab Lab Berlins möglich sein.
Dana Neumann: Euer heutiges Team ist wahnsinnig vielfältig was Erfahrungen aus verschiedenen kreativen Bereichen (Möbel, Malerei, Kunst und Design, Produktdesign,…) und auch aus unterschiedlichsten Ländern betrifft (Kris hat in Italien und Lettland studiert, Ahmad in Syrien, Yair in Israel, Murat in der Türkei und China). Wie stark sind die individuellen Einflüsse eurer Teammitglieder? Gibt es Unterschiede in deren kreativem Input?
Nicolai Hertle: Fab Labs genießen einen guten Ruf und sind international bekannt. Und so geht es auch Berlin. Wir bekommen viele internationale Bewerbungen und sind sehr zufrieden mit unserem inzwischen 14 köpfigen Team. Natürlich sind unterschiedliche kulturelle Hintergründe spürbar. Kürzlich war Ramadan und Ahmad hat montags nicht mit uns gefrühstückt, aber trotzdem tapfer mit am Tisch gesessen. Allerdings spielt das keine große Rolle. Die Arbeit steht im Vordergrund und alle verfolgen nach ihren Möglichkeiten professionell ihre Ziele. Wir sprechen überwiegend Englisch, wenn möglich natürlich Deutsch. Für unsere Kunden und Besucher ist das besonders attraktiv, da wir häufig Führungen in der Muttersprache der Besucher organisieren können.
Team Fab Lab © Fab Lab Berlin
Dana Neumann: Kommen wir zu denjenigen, die das Fab Lab Berlin in Anspruch nehmen: Wer genau sind eure Besucher?
Nicolai Hertle: Momentan gibt es mehr als 350 Nutzer des Fab Lab Berlin. Darunter sind sowohl Schüler, Studenten und selbständige Einzelunternehmer, als auch kleine bis mittelständische Unternehmen.
Den stärksten Zulauf verzeichnen wir allerdings aus den verschiedenen Designdisziplinen: der Architektur, den Ingenieurwissenschaften und der Informatik. Aber auch Künstler aus den Bereichen Malerei und Bildende Kunst sowie Musiker und Fotografen sind präsent. Selbst Mediziner und Hausfrauen finden zu uns. Alle genannten Gruppen nutzen die Räumlichkeiten und die Technologien zur Herstellung, Verbesserung oder Reparatur von Produkten. Ein besonderes Augenmerk gilt den Hardware-Startups, die beispielsweise an der Entwicklung von Drohnen, Servicerobotern oder 3D-Druckern arbeiten.
Schüler im Fab Lab Berlin © Fab Lab Berlin
Dana Neumann: À propos Hausfrauen: Gibt es gezielte Frauenkurse? Wie stark seid ihr daran interessiert, Mädchen und Frauen zu begeistern?
Nicolai Hertle: Wir haben im letzten Jahr auf Anfrage einen Frauenkurs angeboten, der auch gut besucht war. Außerdem stehen wir in guten Kontakten zu den Geekettes, die bereits dreimal bei uns einen Workshop für Ihre Community angeboten haben. Allerdings sind wir schon mit der Organisation der regelmäßigen Einführungskurse sehr beschäftigt und sehen auch gerade keinen Bedarf, das auszudifferenzieren, da die Frauenquote im Vergleich zum letzten Jahr sehr hoch ist. Dazu haben mit Sicherheit die attraktiveren Räume mit einer wesentlich angenehmeren Arbeitsatmosphäre und die Einrichtung des Electronic und Textile Labs beigetragen. Das Team ist jetzt auch schon fast ausgewogen.
Dana Neumann: Wie sieht also eine typische Kurswoche bei euch aus?
Nicolai Hertle: Zunächst einmal finden wöchentlich Einführungskurse für die verschiedenen Technologien statt, die zugleich auch die Voraussetzung für die eigenständige Nutzung der jeweiligen Maschinentypen während der Öffnungszeiten darstellen. An Wochentagen zwischen 9 und 19 Uhr sowie an Samstagen von 12 bis 18 Uhr können die Maschinen benutzt werden und bei Fragen steht immer ein Lab-Mitarbeiter zur Unterstützung bereit. Der Zugang und das Arbeiten an den Arbeitsplätzen sowie die Nutzung der Handwerkzeuge und des Internets ist kostenlos. Kurse und Maschinenzeit sind kostenpflichtig und werden pauschal oder zeitbasiert abgerechnet.
Wir bieten momentan regelmäßig Einführungen in 3D-Modellieren am Computer, 3D Drucken, Lasercutten, Folienplott und CNC Fräsen an. Kürzlich hinzugekommen sind die Bereiche Textil und Elektronik. Darüber hinaus gibt es Kursangebote von Externen, die bei uns stattfinden, wie z.B. das Junior Lab, Digitales Stricken, Make your Own T-Shirt oder Raspberry Pi für Kinder.
Die Kurse sind bilingual für deutsch- und englischsprachige Besucher ausgelegt. Bei einer durchschnittlichen Dauer von drei Stunden und maximal fünf Teilnehmern können wir angemessen auf deren individuelle Bedürfnisse eingehen. Außerdem kommt so jeder dazu, die Maschinen zu bedienen und Sicherheit im Umgang zu gewinnen.
Am Open Lab Day, der an jedem Freitagabend stattfindet, ist die Maschinennutzung kostenfrei.
Erst beim Kurs lernen, dann selbst machen © Fab Lab Berlin
Dana Neumann: Neben den Räumlichkeiten für eure Kursbesucher und Nutzer gibt es im Fab Lab auch einen eigenen Co-Workingspace. Für wen ist dieser gedacht?
Nicolai Hertle: Den Co-Workingspace haben wir für Unternehmen, Startups, Institutionen und unsere Kooperationspartner geschaffen. Wir haben momentan 5 Hardware-Startups mit einer soliden Finanzierung, einen Tisch mit wechselnder Besetzung von AtomLeap, einem Berliner Accelerator, Künstler, selbständige Designer…
Grundsätzlich vermieten wir aber an alle, die unsere Ressourcen zum Erreichen Ihrer Ziele brauchen oder deren Projekt der Fab Lab Gemeinschaft zugutekommt, z.B. Open-Source-Hardware-Projekte wie der I3Berlin von Laydrop.
Dana Neumann: Kurz vor Schluss noch schnell ein paar der wohl unbeliebtesten Fragen eines Interviews: Was macht das Fab Lab Berlin so besonders und warum sollten Maker gerade zu euch kommen?
Nicolai Hertle: Das Fab Lab Berlin ist ein zentraler Knotenpunkt im Berliner Maker-Netzwerk. Durch die Anbindung an das Otto Bock „Future Lab” soll darüber hinaus ein Ort der Begegnung und des kreativen Austausches zwischen innovativen Köpfen aus aller Welt und den Entwicklungsingenieuren des Unternehmens entstehen. Das Fab Lab Berlin bietet die Möglichkeit, Ideen rasch in Muster oder Prototypen verwandeln zu können, die daraufhin wieder zum innovativen Diskurs anregen.
Dana Neumann: Wo bzw. wie seht ihr euch in Zukunft?
Nicolai Hertle: Langfristig ist geplant, die Organisation der Fab Lab Veranstaltungen in den Verein „Freunde des Fab Lab e.V.” auszulagern. Mit der Bundestagsabgeordneten Brigitte Zypris als Schirmherrin können wir auf Spendengelder hoffen, die das Zeitfenster des kostenlosen Zugangs vergrößern würden und die Einstellung einer Projektmanagerin ermöglichen könnten. Als gemeinnütziger Verein mit Bildungsmission ist es das oberste Ziel, den Zugang für alle Schichten der Bevölkerung zu gewährleisten und kommende Generationen für die Thematik zu begeistern. Mit dem Aufbau einer Abteilung für Service Solutions wollen wir unser Angebot für Firmen professionalisieren. Hier werden Ingenieure und Designer im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt, um externe Unternehmen zu beraten, Produktentwicklung zu betreiben, Prototypingaufträge auszuführen und die Mitarbeiter dieser Unternehmen gezielt in den Techniken digitaler Fabrikation fortzubilden.
Dana Neumann: Vielen Dank für das Interview!
Nicolai Hertle ist als einer der Mitbegründer des Fab Lab Berlin (neben Wolf Jeschonnek) für das Werkstattmanagement und Design zuständig. Der ehemalige Tischler machte seine ersten Erfahrungen mit digitalen Fertigungsverfahren während seines Produktdesign-Studiums an der Weißensee Kunsthochschule Berlin und ist von Anfang an in den Aufbau des Fab Lab Berlin involviert gewesen.