24. April 2015

Innovative Surgical Robotics Forum, Teil 2: Interview mit Dr. Ulrich Seibold vom DLR

In welchem Zusammenhang stehen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und chirurgische Robotik, und was genau macht ein EU Reviewer? Dr. Ulrich Seibold hat sich im Rahmen des Innovative Surgical Robotics Forums die Zeit genommen, uns diese Fragen zu beantworten.


Dr. Ulrich SeiboldDr.-Ing. Ulrich Seibold

Dana Neumann: Herr Dr. Seibold, schön, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Sie arbeiten für das DLR (Anmerk. d. Red.: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), ist das richtig?

Dr. Ulrich Seibold: Ja das ist richtig, vielen Dank auch für die Gelegenheit und für Ihre Zeit.

Dana Neumann: Besuchen Sie heute das Innovative Surgical Robotics Forum aus persönlichem Interesse oder auch vor dem Hintergrund der Interessen des DLRs?

Dr. Ulrich Seibold: Beides. Robotik, und insbesondere die Medizinrobotik, interessiert mich natürlich persönlich. Aber es ist ebenso mein professionelles Interesse und ich arbeite am DLR ja auch an Medizinrobotersystemen, an Robotiksystemen im Allgemeinen, wodurch eben auch mein Arbeitsgebiet am DLR sehr genau getroffen wird.

Dana Neumann: Haben Sie bestimmte Erwartungen bezüglich der Konferenz?

Dr. Ulrich Seibold: Ich möchte sehen, woran andere Gruppen in Europa arbeiten, Leute treffen, alte Bekanntschaften auffrischen und einfach schauen, was hier an der Vorfront der Forschung zur Zeit passiert.

Dana Neumann: Inwiefern überschneiden sich denn chirurgische Robotik und die Robotersysteme, die beim DLR zum Einsatz kommen bzw. dort erforscht werden?

Dr. Ulrich Seibold: Wir am DLR – das DLR ist ja eine große Organisation in Deutschland, eine der großen Forschungsanstalten, und ist sehr weit gegliedert -, wir haben etwa 8000 Mitarbeiter in Deutschland in sehr vielen verschiedenen Bereichen. Diese reichen von Weltraummedizin über die Robotik, in der ich arbeite, bis hin zur Erkundung der Atmosphäre, Verkehrstechnik, Triebwerksystemen und Raketensystemen. Wir verfügen also über ein sehr umfangreiches Arbeitsgebiet. In meinem Fall speziell ist es das Institut für Robotik und Mechatronik, oder das Robotik und Mechatronik Zentrum wie es inzwischen heißt. Wir bearbeiten, wie wir es gern beschreiben, Robotik für den Weltraum und die Erde. Wir kommen natürlich im DLR-Sinn aus der Weltraumrobotik, aber versuchen den Transfer zu finden in andere Bereiche und breitere Angriffsfelder. Die Servicerobotik und insbesondere die Medizinrobotik eignen sich an dieser Stelle sehr gut, weil es, obwohl es erst einmal sehr unterschiedlich klingt, sehr viele Überschneidungen gibt mit der Weltraumrobotik.

Ganz speziell bezogen auf medizinische Robotik arbeiten wir an Systemen für die minimal invasive Chirurgie. Kurz zur Erklärung: Früher hat man in der Chirurgie große Einschnitte am Patienten vorgenommen. Der Chirurg hat das Operationsfeld geöffnet und hatte mit den Händen einen sehr guten Zugang zum Operationsfeld und auch visuellen Zugang. D.h. die Chirurgen konnten fühlen und sehen, was sie tun. Das ist für den Chirurgen wunderbar, für den Patienten ergeben sich dadurch Nachteile, wie große Narben und damit lange Rekonvaleszenzzeiten, also längere Krankenhausaufenthalte und Erholungszeiten, mehr Schmerzen und ein höheres Risiko für Infektionen. Deshalb ist man bereits in den 1960er und 1970er Jahren verbreitet dazu übergegangen, möglichst kleine Einschnitte vorzunehmen. Man ist dazu übergegangen, sehr lange Instrumente zu verwenden, die über ganz kleine, 1 cm lange Einschnitte in den Körper eingeführt werden. Der Chirurg hält dabei außerhalb des Patientenkörpers Handgriffe, über die er die kleinen Zangen im Körperinneren steuert, mit denen die eigentliche Operation ausgeführt wird. Die neue Operationstechnik ist wunderbar für den Patienten, aber sehr kompliziert, ermüdend und technisch schwierig zu meistern für den Chirurgen. Man kann sich das so vorstellen wie Schuhe binden mit zwei eingegipsten Handgelenken wenn man die Schuhe nur im Spiegel sieht.

Dann kam die Medizinrobotik. Wir versuchen jetzt den Weg zu finden zur sogenannten virtuell offenen Chirurgie, d.h. alle Vorteile der minimal invasiven Chirurgie für den Patienten zu erhalten, aber es für den Chirurgen so darzustellen als würde er eine offene OP am Patienten vornehmen. D.h. er hat wieder einen sehr guten visuellen Zugang, einen 3D-Eindruck in HD (High Definition), und kann mit den aus der offenen Chirurgie gewohnten Handbewegungen arbeiten. Diese Handbewegungen werden vom System über eine Art Joystick erfasst und mit dem Robotersystem in den Körper des Patienten übergeleitet. Wir versuchen hier diese Verbindung zu schaffen.

Was sich mit so einem System ergibt, ist eine Übertragungsstrecke, das bedeutet der Arzt steht nicht mehr direkt am OP-Tisch, sondern ist davon entfernt, das kann im gleichen Raum sein, muss jedoch nicht. Daraus resultieren natürlich einerseits Verzögerungen bei der Übertragung, es lassen sich andererseits jedoch auch Filter einbauen, um das Handzittern, das auch Chirurgen haben, herauszufiltern oder die Hand-Augen-Koordination wieder herzustellen. Die Bewegungen der Instrumente erfolgen wieder genau gleich zur Handbewegung der Chirurgen. Und dabei helfen uns die Erfahrungen, die wir in der Raumfahrttechnik gesammelt haben.

Dana Neumann: Lässt sich das auch andersherum anwenden? Ich meine, ergeben sich aus Forschungserkenntnissen aus dem Bereich der Chirurgie auch wiederum Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Weltraumrobotik?

Dr. Ulrich Seibold: Ja natürlich. In beide Richtungen ist der Transfer möglich, findet statt und ist gewollt.

Dana Neumann: Sie sind gleichzeitig neben Ihrer Beschäftigung beim DLR auch als EU Sachverständiger tätig. Sind Sie dabei für Fragen zuständig, wie beispielsweise ob bestimmte Projekte einen Zuschuss erhalten?

Dr. Ulrich Seibold: Ja genau. Die Europäische Kommission hat mich eingeladen, hier einige Projekte zu begleiten (Anmerk. d. Red.: Projekte, die im Rahmen des Innovative Surgical Robotics Forums vorgestellt wurden). Bei meiner Tätigkeit geht es allerdings gar nicht darum, ob Mittel in Zukunft genehmigt werden. Diese Förderprojekte laufen normalerweise für eine gewisse Zeit, meistens drei bis vier Jahre, haben ein gewisses Budget und mindestens jährlich erfolgt dann ein Review-Meeting. Auf diesem Meeting werden die Ergebnisse vorgestellt und von externen, geladenen Experten, ich bin einer davon, bewertet. Die Projekte, die ich jetzt begleite, laufen sehr gut. Dabei geht es jetzt nicht so sehr darum, Kritik zu üben und schon gar nicht das Budget zu streichen, sondern eher darum, neue Ideen mit einzubringen und Verbindungen herzustellen, Fragen zu stellen und dadurch neue Ideen aufzuwerfen, zu begleiten…

Dana Neumann: Ich verstehe. Und welche Projekte sind es, die Sie momentan betreuen?

Dr. Ulrich Seibold: Alle vier Projekte, die heute hier vorgestellt werden, also ReMeDi, STIFF-FLOP, microRalp und CASCADE.

Dana Neumann: STIFF-FLOP und ReMeDi hatten ja jetzt erst (Anmerk. d. Red.: am 16. und 17. März 2015) ihre letzten Meetings zu diesem Thema. Was genau passiert auf einem solchen Treffen. Sind Sie auf bestimmte Bereiche ausgerichtet, wenn Sie daran teilnehmen, oder müssen wir uns das als ein allgemeines Treffen vorstellen?

Dr. Ulrich Seibold: Ich habe natürlich mein eigenes Kompetenzgebiet. Die Projekte sind sehr weitläufig, es geht ja dabei um Robotik im weitesten Sinne, also Maschinenlernen, Kommunikation, Softwarestrukturen, dann die wirklich robotische Hardware, Sensorik, das Ganze zu integrieren, usw., d.h. ich kann natürlich nicht selbst das komplette Expertenwissen für solch ein Projekt abdecken. Die Europäische Kommission versucht deshalb, Experten aus verschiedenen Bereichen einzuladen, und wir versuchen im Gemeinsamen, jeder in seinem Spezialgebiet, unser Wissen mit einzubringen.

Dana Neumann: Können Sie sich aussuchen, welche Projekte Sie betreuen oder werden ganz bestimmte Projekte angefragt, zu denen Sie entweder ja oder nein sagen können?

Dr. Ulrich Seibold: Am Anfang wird erst einmal angefragt. STIFF-FLOP war mein erstes Projekt, in diesem Fall war es mehr oder weniger „ja oder nein“, wobei es eine große Ehre ist wenn man von der Kommission um Hilfe gebeten wird. Diesem Ruf folgt man gerne. Dann lernt man natürlich nach und nach bei der Europäischen Kommission Menschen kennen, diese können später einschätzen, in welchen Bereichen man selbst über mehr oder weniger Wissen verfügt und finden dann auch passende Projekte dafür.

Dana Neumann: Und werden Sie denn heute im Rahmen des Forums auch selbst etwas dazu präsentieren oder sind Sie nur als Gasthörer hier?

Dr. Ulrich Seibold: Nein, ich bin heute nur als Gast hier.

Dana Neumann: Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei und vielen Dank für das Interview.

Logo des Innovative Surgical Robotics Forum


Dr.-Ing. Ulrich Seibold ist Mitglied des Teams für Medizinrobotik am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. In seiner Funktion als EU Reviewer ist er für die EU-Projekte STIFF-FLOP, ReMeDi, microRalp (µRalp) und CASCADE zuständig. Wir haben ihn am 18. März 2015 auf dem Innovative Surgical Robotics Forum in London getroffen.


Quellen