19. August 2015

„Mr. Robotto“ erobert Japan

Japan und Robotik sind unzertrennlich miteinander verbunden. Warum? Weil DAS Land der Roboter gegenüber anderen Ländern, die sich ebenfalls mit diesem Gebiet befassen, einen entscheidenden Vorteil besitzt: Japaner lieben neue Technologien und sind im Umgang damit deutlich aufgeschlossener.

Als ein Grund für diese positive Einstellung gegenüber Robotern gilt „Astro Boy“ (jap. Tetsuwan Atomu), der selbst hierzulande bekannt ist. Der kleine, gezeichnete Roboterjunge, der seine ersten Schritte in japanischen Mangas (Comics) bereits 1951 machte, symbolisiert wie keine andere Figur den technologischen Optimismus, der den Japanern innewohnt. Astro Boys geistiger Vater, Tezuka Osamu, ehrfürchtig auch „Gott des Mangas“ genannt, erklärte einmal, dass ihn Japans Minderwertigkeitskomplex in Sachen Technologie und Wissenschaft, den das Land während des Zweiten Weltkrieges entwickelte, dazu veranlasste, eine moralisch und technologisch überlegene Figur zu schaffen, die helfen sollte, diesen Komplex zu überwinden. Astro Boy sollte darüber hinaus nach Willen der Verleger als Werkzeug genutzt werden, den Menschen die positive Nutzung von Technologie zu demonstrieren – er verfügt über zahlreiche überaus hilfreiche, technische Tools – und insbesondere die Jugend positiv auf Wissenschaft und Technologie einstimmen. In den 1980er war Astro Boy bereits so sehr zum Maskottchen der Robotik aufgestiegen, dass führende Roboter-Entwickler immer wieder den Einfluss der Mangafigur auf ihre Arbeit betonten und Tezuka Osamu reihenweise zu Gesprächen aufsuchten.

Aber auch vor Astro Boys Ära, zum Teil schon im 17. Jahrhundert, als mechanische Puppen (karakuri ningyō) landesweit in Theateraufführungen zum Einsatz kamen, gab es in Japan die Idee vom freundlichen Roboter. 1928 entwickelte der Biologe Makoto Nishimura zum Beispiel „Gakutensoku“, der landesweit ersten Humanoiden, der mithilfe eines Luftdruckmechanismus seinen Gesichtsausdruck verändern und Kopf und Hände bewegen konnte. Auf seinem Kopf saß zudem ein vogelartiger Roboter, Kokukyōchō, auf dessen Schrei hin Gakutensoku seine Augen schloss und einen nachdenklichen Gesichtsausdruck annahm. Weil Gakutensoku in den 1930ern auf einer Tour durch Deutschland verloren ging, wurde 2008 im Wissenschaftsmuseum von Osaka eine moderne Version des Roboters konstruiert, die heute dort ausgestellt ist.

Von Astro Boy zum realen Robotereinsatz

Spannend wird es, wenn wir einen Blick auf die ersten professionellen Einsätze von Robotern in Japan werfen. Die Robotics Society of Japan (Nihon Robotto Gakkai) hat dazu eine umfassende Datenbank erstellt, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch Forschungsentwicklungen seit den 1960er Jahren anschaulich dokumentiert. Hier nur ein kurzer Auszug:

1969: Kawasaki Unimate 2000, Japans (und der Welt) erster Industrieroboter

Eine technische Kooperation von Unimation Inc., dem vom „Vater der Robotik“, Joseph F. Engelberger, geführten amerikanischen Unternehmen, und dem japanischen Konzern Kawasaki Heavy Industries, Ltd. im Jahr 1968/69 führte zur Einführung des weltweit und in Japan ersten, aktiven Industrieroboters: dem Kawasaki Unimate 2000.

1972: Punktschweißer-Roboter in der Automobilindustrie

Wieder war es Kawasaki Heavy Industries, Ltd., das dieses Mal den Großeinsatz von Robotern in der Automobilindustrie startete. Grundlage für eine solche, innovative Entwicklung war der Versuch der japanischen Autoindustrie in den 1970er Jahren, den technologischen Vorsprung der Amerikaner aufzuholen und die eigene Produktivität massiv zu steigern. Kawasaki Heavy Industries, Ltd. ersetzte dazu das gewöhnliche manuelle Punktschweißen durch Roboter, die diese Arbeit ausführten, was schließlich die weit verbreitete „Robotisierung“ des Karosseriebaus auslöste.

1973: MOTOMAN, Japans erster, vollständig elektrisch angetriebener Roboter 

MOTOMAN wurde von der Yaskawa Electric Corporation entwickelt, war klein und schnell, verfügte über ein breites Spektrum an Bewegungsabläufen und ließ sich unkompliziert in bestehende Produktionslinien installieren. Der Roboter entstand im Verlauf von Yaskawas Fokus auf Anwendungen im Bereich Lichtbogenschweißen und zeichnete sich durch hohe Präzision und reibungslose Bewegungen aus.

1982: Entwicklung des Mikroroboters „Move Master“ für Bildung, Forschung und Hobby

Bei der ersten Baureihe „RM 101“ des Move Masters, der von Mitsubishi Electric Co. Ltd. entwickelt wurde, handelte es sich um einen neuartigen Roboter, der über ein Centronics-Druckerkabel vom PC aus gesteuert werden konnte. Der Move Master war seiner Zeit voraus, da er nicht nur klein, sondern auch erschwinglich und leicht zu bedienen war, weswegen er als Verkaufsschlager weltweit exportiert und über 20.000 Mal verkauft wurde.

1985: Zweifüßiger Roboter WHL-11

Die Hitachi, Ltd. kooperierte in den 1980er Jahren mit der japanischen Waseda Universität, woraus der erste, zweibeinige Roboter, Waseda-Hitachi Legs-11 (WHL-11), hervorging, in dessen Entwicklung die Industrie involviert war. Der autonome Roboter hatte eine Größe von 1.4 Metern (Beine: 0.9 Meter) und wog 120 Kilo; seine Bewegungen erfolgten über elektrohydraulische Steuerung, die ein stabiles, quasidynamisches Laufen ermöglichte, aber auch 10 Sekunden pro Schritt in Anspruch nahm. WHL-11 wurde der Öffentlichkeit 1985 auf der Weltausstellung in Tsukuba vorgestellt und bewegte sich im Rahmen der Veranstaltung ganze 60 Kilometer ohne technische Probleme oder Unfälle.

1990: Multisensorisches, zweiseitig Master-Slave-gesteuertes Manipulatorsystem mit Multifinger-Einheiten

Als Teil eines mehrjährigen, nationalen Forschungsprojektes (1983 to 1992) entwickelte Mitsubishi Heavy Industries, Ltd. kam es zur Entwicklung eines Robotersystems, das aus einer Master- und einer Slave-Einheit besteht und für den Einsatz in Atomkraftwerken, auf Ölplattformen und zur Katastrophenprävention in Fabriken vorgesehen war.

1996: Zweiarmiger, intelligenter Roboter, der Mini-Roboter baut

Die FANUC Corporation entwickelte ein Robotersystem, das automatisch Miniroboter zusammensetzt. Der intelligente Roboter verfügt über zwei Arme, an deren Handgelenken Kraftsensoren und 3D-Sichtsensoren angebracht sind und die für erhöhte Funktionsfähigkeit und Produktivität sowohl unabhängig als auch in Kombination betrieben werden können.

2002: Unterhaltungsroboter AIBO

Sony Co. hat mit der Entwicklung des Roboterhundes AIBO bis heute (auch wenn Produktion und Service mittlerweile eingestellt wurden) große Erfolge gefeiert. Als Teil der Entwicklung neuer Roboteranwendungen, die einer neuen Art von Entertainment dienen sollten, gab Sony schon 1997 die Arbeiten am Prototypen eines kleinen, autonomen vierbeinigen Roboters bekannt. 1999 begann der Verkauf von AIBO ERS-110 zum stolzen Preis von 250.000 Yen (heute rund 1822 Euro), jedoch mit dem Ergebnis eines Ausverkaufs via Internet von 3000 Stück innerhalb von nur 20 Minuten. AIBOs Markteinführung zog eine Welle an Spielzeugrobotern und Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nach sich und machte großen Eindruck auf die Gesellschaft.

2004: Entwicklung des ultrakleinen Laserscanners „Sokuiki Sensor“ für die Umgebungswahrnehmung von Dienstleistungsrobotern

Der “Sokuiki Sensor Classic-URG” von Hokuyo Automatic Co., Ltd. und dem Shibaura Institute of Technology war ein Sensor, der sich im Vergleich zur vorangegangener LED-Technologie durch höhere Präzision, geringe Größe und minimales Gewicht auszeichnete. Schon nach dem Massenvertrieb 2005 wurde der Sensor zum Beinahe-Standard für Dienstleistungsroboter.

2007: Prototyp eines sozial interaktiven Teddybär-Roboters

Fujitsu Laboratories Ltd. entwickelte den Prototypen als menschenfreundliches, interaktives Gerät, das höfliche Unterstützung leistet, um so Menschen in verschiedensten Situationen mit Informations- und Kommunikationstechnologie in Kontakt zu bringen. Der Teddybär wurde so designt, dass er die Emotionen des Nutzers anspricht, um eine Verbindung zu ihm aufzubauen.

2012: ROPITS (Robot for Personal Intelligent Transportation System)

Hitachi, Ltd. orientierte sich an dem zunehmenden Anteil älterer Personen an der Bevölkerung und schuf mit ROPITS einen Roboter für Einzelreisende, der innerhalb von Gemeinschaften autonom in Fußgängerzonen navigieren kann, um so die Beförderung von Senioren oder Personen mit Gehproblemen über kurze Distanzen zu unterstützen.

Fazit

Die aufgeführten Innovationen repräsentieren tatsächlich nur einen winzigen Teil dessen, was Forscher und Entwickler in Japan in den letzten Dekaden geschaffen haben; dabei zeichnet sich recht schnell ab, dass sich der Einsatz von Robotern im industriellen und Servicebereich auch in den nächsten Jahrzehnten deutlich steigern dürfte. Dafür sorgen nicht nur die optimistische Einstellung der Japaner gegenüber dieser faszinierenden Technologie, sondern auch die gesellschaftlichen Umstände, für deren Bewältigung Roboter überaus gelegen kommen. Pflegesektor, Arbeitsmarkt und Industrie profitieren alle stark vom erhöhten Anteil an Robotern, kein Wunder, dass die Prognosen des Marktes für Service – und Industrieroboter von Jahr zu Jahr rosiger werden. Wir dürfen gespannt sein, wohin die Reise im Land der Roboter geht. Das große Interesse an Neuheiten auf diesem Gebiet verspricht auf jeden Fall Großes, besonders da gesunde Neugier zu wesentlich mehr Antrieb bei der Forschung und Entwicklung führt. So schnell wird sich Japan in Sachen Robotik zumindest nicht die Butter vom Brot nehmen lassen.

Quellen