11. August 2015

Uncanny Valley: Unheimliche Begegnungen der Roboterart

Das unheimliche Tal, „the uncanny valley“, ist unter Roboteringenieuren ein geläufiger Begriff, der gerade in unserer Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Obwohl das Konzept aus den 1970er Jahren stammt, ist es erst mit der Zeit immer häufiger Gegenstand zahlreicher Studien geworden und gilt auch außerhalb der Robotik als wichtige Grundlage, z.B. für Charakterdesigns im Film- und Videospielgeschäft.

1970 veröffentlichte der japanische Roboteringenieur und Robotikprofessor am Tokyo Institut für Technologie, Masahiro Mori, ein Essay mit dem Titel „Bukimi no tani genshô“ (Das Phänomen des unheimlichen Tals) im japanischen Journal „Energy“ (eine von Mori anerkannte Übersetzung aus dem Japanischen ins Englische finden Sie hier). Darin beschrieb er seine Vorstellung der Reaktion von Menschen auf Roboter, die dem Menschen nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrem Verhalten gleichen. Im Detail stellte er die Hypothese auf, dass sich die Empathie eines Menschen gegenüber einem menschenähnlichen Roboter schlagartig in Abscheu wandeln könne, sobald der Roboter einen bestimmten Grad an Menschenähnlichkeit überschreitet, also ein zu perfektes Imitat darstellt. Das starke Absinken von positiver Wahrnehmung in den Bereich des Empfindens von Grusel ist es, was das unheimliche Tal ausmacht.

Nachdem der Artikel in den darauffolgenden Jahren kaum Beachtung gefunden hatte, erlangte das Konzept des uncanny valley in den letzten Jahren immer größere Aufmerksamkeit von Forschern aus dem Bereich Robotik und anderen wissenschaftlichen Kreisen, ebenso wie von Vertretern der Popkultur. Dabei wurden unter anderem die Auswirkungen auf Mensch-Roboter-Interaktionen und Computeranimation untersucht, sowie die biologischen und sozialen Wurzeln des Konzeptes.

Das uncanny valley im Film

Für die Filmindustrie hat sich das Prinzip des uncanny valley bereits zu einer der theoretischen Grundlagen der Gestaltung computeranimierter Charaktere, des Make-ups für Schauspieler sowie deren Kostümen entwickelt. Viele Computeranimationen wurden bis dahin kritisiert, weil ihre spezifischen Merkmale zu menschenähnlich wirkten und bei Zuschauern und Kritikern ein starkes Gefühl des Unbehagens auslösten. Zu den bekanntesten Filmen, die der Anwendung unterlagen, gehören beispielsweise „Der Herr der Ringe“ (Anwendungsbereich: Motion Capture, d.h. die Bewegungserfassung und deren Umwandlung in ein von Computern lesbares Format für angemessen realistische Bewegungsabläufe animierter Charaktere), „A.I.“ (Anwendungsbereich: Eine Szene zeigt einen Mob, der bei einem sogenannten „Fleisch-Fest“ zur Belustigung ausgediente Roboter zerstört. Tritt der Hauptcharakter David auf, ein Android, der wie ein menschlicher Junge aussieht, verstummt der vorher laute Mob augenblicklich) und „I, Robot“ (Anwendungsbereich: Das Gesicht des Androiden Sonny, der eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat, zeigt deutlich menschliche Emotionen, wie Angst, die ein gewolltes Schlucken beim Publikum zur Folge haben).

Verhaltensbiologische Versuche mit Makaken

Die Verhaltensbiologen Shawn A. Steckenfinge und Asif A. Ghazanfar der amerkanischen Princeton Universität haben verschiedene Versuche mit Makaken unternommen, in deren Verlauf die Tiere mit verschiedenen Bildern ihrer Artgenossen konfrontiert wurden. Diese reichten von Fotos über stark deformierte Variationen (z.B. mit übergroßen Ohren und Augen) bis hin zu nahezu perfekten Zeichnungen. Es stellte sich heraus, dass sich die Affen am wenigsten mit den Letzteren auseinandersetzen konnten, da sie sich von diesen hastig abwanden. Im Endeffekt erschienen also die zu realistischen Abbildungen als besonders unglaubwürdig.

Grafik zum Uncanny Valley © Wikimedia Commons („Mori Uncanny Valley de“ von Tobias K.)

Für Wissenschaftler ergibt sich daraus die Frage, ob sie das uncanny valley überwinden oder einfach Roboter konstruieren sollen, die noch zu einem gewissen Grad mechanisch erscheinen. Mori selbst ist der Ansicht, dass es nicht erstrebenswert sei, Roboter über das Tal hinaus zu entwickeln: „Aus meiner Perspektive ist es nicht einmal interessant, einen Roboter zu erschaffen, der exakt wie ein Mensch aussieht. […] Ich finde, Roboter sollten sich von Menschen unterscheiden“.

Bestand der Theorie

Wie bei jeder Theorie teilen sich auch beim Konzept des uncanny valley die Lager in Befürworter und Gegner, die jeweils ihre ganz eigenen Studien durchgeführt haben.

In einem Versuch zeigten Robotik-Wissenschaftler und -Designer David Hanson (Hanson Robotics, Texas; Hersteller animatronischer Roboter) und sein Team ausgewählten Probanden eine Reihe an Bildern von zwei Robotern, die menschenähnliche Gesichtsausdrücke simulierten, und fragten diese einfach nur nach ihrer Empfindung beim Betrachten der Bilder. Nicht nur sagte die Mehrheit (73%), dass ihnen die Roboter gefielen, kein einziger von ihnen gab zu Protokoll, dass er die Roboter als unheimlich empfand.

Eine zweite Studie beinhaltete eine Bildabfolge, in deren Verlauf sich das Ausgangsbild von Prinzessin Jasmin (Disney’s Aladdin) langsam in das Gesicht der Schauspielerin Jennifer Love Hewitt transformierte. Um herauszufinden, ob sich der Abfall in der Sympathie gegenüber den offensichtlich karikierten und offensichtlich menschlichen Bildern bei den Betrachtern ergibt, der durch das uncanny valley vorausgesagt wird, wurden die Teilnehmer gebeten, die Abbildungen jeweils mit einem Rang zu bewerten. Auch in diesem Fall niemand die Bilder als unheimlich. (Ein wenig Fragwürdigkeit mag an dieser Stelle durchaus gerechtfertigt sein, immerhin ist Hanson auf humanoide Roboter spezialisiert und ein Phänomen wie das uncanny valley düfte als einer seiner natürlichen Feinde gelten.)

Ein ähnliches Experiment unternahm ein von Karl MacDorman (Direktor des Android Science Center) geführtes Team an der Universität von Indiana, die ebenfalls eine Bildreihe einsetzten, in der sich das Gesicht eines Roboters langsam in ein menschliches Gesicht verwandelt. Anders als bei Hanson konnte hier jedoch durchaus die für das uncanny valley typische Kurve nachgewiesen werden. Darüber hinaus zeigte MacDorman in einem weiteren Versuch, dass der Effekt des uncanny valley auch geschlechterspezifisch zu beobachten ist. So ließ er Probanden in die Rolle des Arztes schlüpfen, um mit einer hypothetischen Patientin zu interagieren. Frauen reagierten dabei gleichermaßen sympathisch auf die Bedürfnisse der Patientin, egal ob als Person oder schlechte Animation repräsentiert, während Männer nur der realen Patientin zur Seite standen.

Weitere Diskussionen bestehen unter Experten allen voran in Bezug auf die Fragen, was eigentlich genau gefühlt wird beim Auftreten des uncanny valley und aus welchem Grund das so ist. Selbst die Kurvenform der Grafik, die dem unheimlichen Tal seinen Namen verliehen hat, steht unter Beobachtung. Laut Christoph Bartneck, Forscher der Robotik an der Canterbury Universität in Neuseeland, ist „Tal“ schon von vornherein eine falsche, geologische Metapher. Die Kurve würde seiner Forschung nach eher einer Klippe gleichen, da die Sympathie gegenüber Robotern ab dem Punkt, wo sie eine extreme Menschenähnlichkeit erreichen, jedoch erkennbar unmenschlich bleiben, schlagartig abstürzt.

Ungelöste Rätsel

Die Fragen, welche Reaktionen zum Auftreten des unheimlichen Tals führen bzw. warum es überhaupt zu Reaktionen kommt, sind aber auch heute noch größtenteils unbeantwortet. Es gibt wohl einige wenige Erklärungsansätze, die sich auf eine seltsame Aversion gegen humanoide Roboter berufen, wie zum Beispiel das unwohle Gefühl, nicht unterscheiden zu können, ob etwas menschlich ist oder nicht. Eine andere Erklärung bezieht sich auf die fehlende Verbindung zwischen realistischem Aussehen und der Fähigkeit, sich ebenso realistisch zu bewegen oder nicht. Dieser Ansatz lässt sich etwas weitergesponnen sogar auf die Evolution anwenden. Er besagt, dass unser Gehirn einen Roboter, der menschlich aussieht, sich aber unnatürlich bewegt, als jemanden mit einer Krankheit einstuft und den Drang auslöst, sich davon zu entfernen, um Ansteckung zu vermeiden.

Was bleibt, ist die ultimative Herausforderung für jeden Roboteringenieur: einen Roboter zu bauen, der sich nicht nur äußerlich nicht mehr vom Menschen unterscheidet und dadurch das Problem des uncanny valley aushebelt.

Quellen