4. August 2015

Das CoCoRo-Projekt: Künstliche Schwarmintelligenz mit natürlichen Vorbildern

Europäische Forscher haben den größten autonomen Unterwasser-Roboterschwarm der Welt entwickelt. CoCoRo, so der Name des Projektes, umfasst vor allem Jeff und Lily, d.h. kollektive kognitive Roboter, die mithilfe unterschiedlicher, von natürlichen Schwarmsystemen inspirierte Algorithmen agieren und kommunizieren. Thomas Schmickl vom Labor für Künstliches Leben an der Universität Graz hat uns mehr darüber erzählt.

Nach dreieinhalb Jahren intensiver Entwicklungsarbeit ist es einem interdisziplinären Forscherteam aus  Österreich, Italien, Belgien und Großbritannien gelungen, einen  Schwarm aus autonomen Unterwasserrobotern (AUVs) zu entwickeln, der über kollektive Wahrnehmung verfügt – und zwar nicht nur in Bezug auf die gemeinsame Umwelt, sondern auch auf sich selbst. Das bedeutet, dass die einzelnen Schwarmroboter nicht nur Daten über ihre eigene Umwelt sammeln und darüber Bescheid wissen, sondern auch über die ihrer Schwarmmitglieder. Auf diese Weise verfügt der CoCoRo-Schwarm über kollektives Wissen über sein Gesamtumfeld und kann Aufgaben wie das Suchen nach versunkenen Gegenständen innovativ lösen. Bis dato gilt dieser Schwarm autonom handelnder Unterwasserroboter als der Größte dieser Art weltweit.

Im Jahr 2015 hat das CoCoRo-Team nun mit „The Year of CoCoRo“ eine einzigartige Öffentlichkeitsoffensive gestartet, die nicht nur Wissenschaftlern aus der Community eine Plattform bietet, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit Einblicke in die Entwicklung neuartiger “high-end“- Technologie ermöglicht. Dazu wurde eine Youtube-Playliste eingerichtet, der jede Woche neue Videos hinzugefügt werden: Diese zeigen einerseits die zahlreichen Funktionalitäten des Unterwasserschwarms, andererseits geben sie aber auch Einblicke in die einzelnen Entwicklungsschritte und die Arbeit der Forscher. Über das gesamte Jahr 2015 werden nun 52 mehrminütige Videos veröffentlicht.

Wie funktioniert der COCORO-Schwarm?

Der CoCoRo-Schwarm besteht aus drei verschiedenen, eigens für das Projekt entwickelten Robotertypen, von denen jeder über Spezialfähigkeiten verfügt. Die Jeff-Roboter sind für die Suche am Grund konstruiert worden. Sie sind extrem agil, können trotz starker Strömung exakt ihr Ziel ansteuern und sind mehrstündig ohne neuerlichen Ladevorgang einsetzbar. Die Lilly-Roboter sind kleiner und langsamer  und dienen vor allem als Kommunikatoren innerhalb des Schwarms. Die Basisstation schwimmt dagegen an der Wasseroberfläche und ist für den Informationsaustausch zwischen Schwarm und Wissenschaftlern verantwortlich.

[Video 1: Vorstellung von Jeff]

[Video 2: Basisstation und autonomes Docking im Labor]

[Video 3: Basisstation und autonomes Docking im Meer]

Durch die Entwicklung neuartiger, bioinspirierter Algorithmen können alle drei Robotertypen miteinander kommunizieren, untereinander Informationen austauschen und dann letztendlich gemeinsame Entscheidungen treffen.

Das CoCoRO-System funktioniert über eine einfache Form der Selbstwahrnehmung: Der Schwarm sammelt Information, die er über die einzelnen Mitglieder aufnimmt und verarbeitet diese dann kollektiv. Das bedeutet, dass der gesamte Schwarm über ein weit größeres Wissen verfügt als das einzelne Schwarmmitglied.

[Video 4: Lily-Roboter – Größenwahrnehmung des Schwarms]

[Video 5: Jeff-Roboter – Größenwahrnehmung des Schwarms]

Unter Wasser sind die CoCoRo-Roboter nicht nur in der Lage, als Schwarm in turbulenten Gewässern zusammen zu bleiben, sie können auch als Schwarm navigieren, tauchen, oder nach versunkenen Gegenständen suchen. Die gemeinsam gewonnene Information verarbeiten sie dann auf kollektiver Ebene, auf der ebenfalls die Entscheidung getroffen wird, welche Aktionen der Schwarm als nächstes ausführt.

[Video 6: System bei Suche im Labor-Tank]

[Video 7: System bei Suche in größerem Pool]

[Video 8: Einsatz im Meer]

Eine Informationsbrücke verbindet den Unterwasserschwarm mit Wissenschaftlern über Wasser

Ein grundlegender Aspekt des CoCoRo-Schwarms ist die Fähigkeit aller drei Robotertypen, einander zu helfen und infolgedessen gemeinsam die jeweilige  Aufgabe zu lösen.  Um ihnen diese Fähigkeit zu verleihen, haben sich die Wissenschaftler von der Natur inspirieren lassen, und verschiedenste Algorithmen kombiniert, die den Kommunikationssystemen von Fischen, Glühwürmchen, Honigbienen, Schaben oder Schleimpilzen nachempfunden wurden. Auf diese Weise entwickelten sie ein völlig neues Programm, das den Schwarm als Einheit handeln lässt.

Dadurch ist es ihm nicht nur möglich, gewonnene Daten gemeinsam zu verarbeiten, sondern auch diese schon während der Schwarmphase der Außenwelt mitzuteilen. Dies geschieht über den Aufbau einer Informationsbrücke, die vom Gewässergrund über die von Menschen steuerbare oder auch autonom einsetzbare Basisstation bis zu den Wissenschaftlern über Wasser reicht.

[Video 9: System bei Suche im Labor-Pool]

Das mehrlagige Schwarmdesign im Detail

Schwärme sind robuste, flexible und skalierbare Systeme, die sich einfach und schnell an wechselnde Umweltbedingungen anpassen können. Eine Schwierigkeit beim Design von Schwarmsystemen stellt ihre rasch zunehmende Komplexität dar. Da jede noch so kleine zusätzliche Funktion im einzelnen Schwarmroboter zu einer enormen Komplexitätssteigerung im Gesamtschwarm führen kann, ist das CoCoRo-Team dem sogenannten KISS-Prinzip („Keep it Simple and Stupid“) gefolgt. Ziel dabei war es, mit möglichst einfachen Robotern möglichst viel zu erreichen. Wie das funktioniert? Indem man sehr viele Roboter einsetzt (Schwarmansatz) und diese zugleich auf eine intelligente Art und Weise miteinander verknüpft (bioinspirierter Ansatz) .

Ähnlich arbeitet auch das menschliche Gehirn, wo viele einfache, aber hochvernetzte Nervenzellen ein intelligentes Ganzes ergeben. Dieser dezentralisierte Ansatz wurde gewählt, damit der Schwarm auch dann funktioniert, wenn einzelne Schwarmmitglieder ausfallen. Zusätzlich bietet dieser Ansatz ökonomische Vorteile, da die Kosten für den einzelnen Schwarmroboter so weit geringer sind, als bei Nicht-Schwarm-Systemen.

[Video 10: Viele Jeffs im Einsatz]

Das Wahrnehmungssystem, das für den CoCoRo-Schwarm entwickelt wurde, basiert auf drei verschiedenen Wahrnehmungsebenen: Die Wahrnehmung der einzelnen Individuen, die Wahrnehmung innerhalb der lokalen  Gruppen und die Wahrnehmung des gesamten Schwarms.

Bio-Inspirierte Algorithmen bilden den Kern

Im Zuge der Softwareentwicklung entschieden sich die Wissenschaftler, deren interdisziplinäres Team auch Biologen umfasste, für bioinspirierte Algorithmen als Basis, die sie in Modulbauweise programmierten.

[Video 11: Schleimpilz-Algorithmus]

[Video 12: Mehr als nur Schleimpiz-Inspiration]

Algorithmen für selbstorganisierte Wahrnehmung wurden dabei mit Algorithmen, die selbstorgansierte Bewegungssteuerung ermöglichen, verknüpft. Durch diese Verknüpfung entstand erstmals eine völlig neue Algorithmen-Generation: Der CoCoRo-Schwarm verhält sich wie eine Kreuzung aus verschiedensten Schwarmtieren, eine einzigartige Kombination, die sich so in der Natur nicht finden lässt.

Verschiedenen Robotertypen kommunizieren über ein neuartiges, mehrkanaliges Unterwassernetzwerk

Für das CoCoRo-Netzwerk wurden – wie bereits oben erwähnt – drei verschiedene Typen von autonomen Unterwasserrobotern entwickelt. Interessant dabei ist, dass der CoCoRo-Schwarm taub ist und nicht wie bisherige Unterwasserroboter über Schall kommuniziert oder über Echolot wahrnimmt. CoCoRo-Roboter sehen über Blaulicht-LEDs, funken per WLAN über kurze Distanzen und können ihre Umwelt sowie andere Roboter mithilfe elektrischer Felder wahrnehmen und beeinflussen.

[Video 13: Zusammenbleiben mithilfe des „Electric sense“ im Laborpool]

[Video 14: Zusammenbleiben mithilfe des „Electric sense“ im Meer]

Diese Sinne sind notwendig, um eine Kommunikationskette möglich zu machen, die hauptsächlich über einfachste Signalweitergabe zwischen den nächsten Nachbarn funktioniert. Die bisher übliche Kommunikation durch Schall wurde bewusst vermieden, da dieser im Schwarm sehr schnell zu einer chaotischen Kakofonie ausartet. Um aus der großen Gruppe ein sinnvolles Orchester zu formen, würde es einen Dirigenten benötigen. Das ist aber genau das, was man in einem dezentralen (also nicht zentral gesteuertem) Schwarmsystem vermeiden will. Fällt nämlich dieser „Dirigent“ aus, dann versagt der ganze Schwarm. Dank dieser innovativen Sensorkombination ist ein völlig neues, heterogenes Schwarm-System entstanden.

CoCoRo goes subCULTRON – Die Entwicklung geht in die nächste Phase

Im Rahmen des CoCoRo-Projektes wurde eine Vielzahl an neuwertigen Schlüsseltechnologien entwickelt, die größtenteils unter Laborkonditionen in Pools, aber auch in der freien Natur (in Flüssen, Seen oder im offenen Meer) getestet wurde. Am Ende des Projektes war es für das internationale Forscherteam offensichtlich, dass diese neuen Technologien weiterentwickelt werden sollten, damit das Schwarmsystem künftig in freier Natur unter verschiedenen Umweltbedingungen einsetzbar ist. Die Wissenschaftler  haben sich deshalb mit neuen Partnern zusammengeschlossen. So entwickeln die Masterminds des EU-Projektes „CADDY“ die Basisstation weiter, während sich führende Forscher des EU-Projektes „ANGELS“ um die Erweiterung der Wahrnehmung und Kommunikation mittels elektrischer Felder kümmern. Das neu gebildete Team hat nun im Frühjahr 2015 mit dem EU-finanzierten Projekt subCULTron begonnen, das sich dem Ziel widmet, die nächste Generation von Unterwasserschwarmrobotern zu entwickeln. Dabei sollen dem Schwarm zusätzliche Funktionen, z.B. Umweltmonitoring, verliehen werden. Als herausforderndes Einsatzgebiet wurden dafür die Lagune von Venedig und die dort befindlichen Kanäle sowie Fisch- und Muschelfarmen ausgewählt.

Gastbeitrag von
Thomas Schmickl, Assoziierter Professor an der Universität Graz, Labor für Künstliches Leben (Artificial Life) am Institut für Zoologie
Ausführliche Informationen: CoCoRo – Collective Cognitive Robots, Artificial Life Lab, EU-Projekt subCULTron, EU-Projekt „CADDY“, EU-Projekt „ANGELS“