13. Februar 2015

Wenn Roboter Geister simulieren

Was passiert, wenn Roboter und geisterhafte Präsenzen aufeinander treffen? Ein faszinierendes neurowissenschaftliches Experiment, das möglicherweise zu einem besseren Verständnis und gezielterer Hilfe für Patienten mit Schizophrenie, mentalen Störungen und Halluzinationen führen kann.

Logo Geistersimulation durch Roboter

Geister und Roboter sind Begriffe, die auf den ersten Blick aus zwei verschiedenen Welten stammen. Auf der einen Seite stehen nicht greifbare, fantastische Erscheinungen, deren Existenz bisher nicht glaubhaft nachgewiesen wurde, auf der anderen Seite fassbare Konstrukte aus Maschinen, Programmierung und feinster Elektronik, die nicht realer sein könnten. Wie also passen beide zusammen?

Der Helm Gottes

Die Forschung macht es möglich. Da Geistererscheinungen und das Empfinden einer unsichtbaren Präsenz seit Jahrhunderten immer wieder von Menschen berichtet werden, haben sich Neurowissenschaftler unlängst mit dieser Thematik auseinander gesetzt. Ein eindrucksvolles Beispiel der Forschungsergebnisse, wenn auch noch nicht im Bereich der Robotik, ist der „God Helmet“ (originär als „Koren Helmet“ bekannt), der von Stanley Koren und Dr. M.A. Persinger an der neurowissenschaftlichen Fakultät der Laurentian Universität entwickelt wurde. Er erhielt seinen Namen von Journalisten, die erfahren hatten, dass einige Experimentteilnehmer von Gottessichtungen während des Tragen des Helmes berichteten. Ursprünglich sollte dieser Apparat dazu dienen, verschiedene Hypothesen Persingers zu den Funktionen des Gehirns zu testen, unter anderem die der vektoriellen Hemisphärizität, der interhemisphärischen Eindringung sowie jene der Erklärung von „Besuchererfahrungen“ durch interhemisphärische Eindringung.

Erstere beschäftigt sich mit der Zusammensetzung der menschlichen Wahrnehmung des Selbst aus zwei Komponenten, die sich jeweils in einer der beiden Gehirnhälften befinden und in der Regel zusammenarbeiten, auch wenn die linke Hemisphäre dabei dominant ist. Laut Persinger leisten beide Hemisphären unterschiedliche Beiträge zur Gesamtwahrnehmung des eigenen Selbst, die unter bestimmten Umständen jedoch als zwei separate Selbst erscheinen können. Der God Helmet wurde entworfen, um genau diese Bedingungen zu schaffen, in denen die Beiträge beider zerebraler Hemisphären gestört werden.

Die zweite Hypothese behandelt die gestörte Kommunikation der rechten und linken Selbstwahrnehmung. Persinger glaubt, dass das für gewöhnlich untergeordnete „Selbst“ der rechten Hemisphäre während solcher Störungen in das Bewusstsein des linkshemisphärischen, dominanten Selbst eindringt.

Laut seiner dritten Hypothese lassen sich „Besuchererfahrungen“ durch genau diese Störung der vektoriellen Hemisphärizität, d.h. die interhemisphärische Eindringung, erklären. Persinger theoretisiert darüber, dass viele paranormale Erfahrungen, wie das Empfinden einer nicht-physischen Präsenz oder Geister, Beispiele interhemisphärischer Eindringung sind. In diesem Sinne sollte der God Helmet auch dazu dienen, die Rolle des Gehirns bei religiösen und mystischen Erfahrungen zu untersuchen.

Magnetische Signale zur Geisterbeschwörung

Die „Wirkung“ des God Helmet basiert in erster Linie auf dem Aussenden schwacher, aber komplexer magnetischer Signale. Trotz der umstrittenen Intensität, die von einigen Psychologen als zu schwach für das Erreichen des Gehirns eingestuft wird, soll die Stimulation durch magnetische Felder, die dem Muster neurophysiologischer Quellen (z.B. dem Profil der Amygdala) nachempfunden sind, die Wahrscheinlichkeit der Aktivierung des Bereiches, aus dem das Signal abgeleitet wurde, erhöhen. Unabhängige Studien dazu haben nachgewiesen, dass die Effekte des God Helmet nicht auf Suggerierbarkeit basieren, sondern einen tatsächlichen Einfluss auf das Gehirn besitzen.

Ein weltweit einzigartiges Experiment

An welcher Stelle kommt nun der Roboter ins Spiel? Ein Team von Neurowissenschaftlern rund um Dr. Olaf Blanke von der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Lausanne hat 2014 ein ähnliches Experiment begonnen, für dessen Durchführung jedoch ein eigens konstruierter Roboter herangezogen wurde. Abgesehen von den verschiedenen Untersuchungsmethoden (Magnetfeld- vs. Roboterstimuli) hat dieses Experiment Persingers Ergebnisse nicht in allen Punkten, aber in den Grunderkenntnissen unterstützt: Das Empfinden einer Präsenz ist das Ergebnis der Aktivität innerhalb eines spezifischen Bereiches des Gehirns und kann als eine Veränderung der Selbstwahrnehmung erklärt werden. Beide stimmen darin überein, dass Personen, die eine Präsenz fühlen, tatsächlich einen Teil von sich selbst wahrnehmen. Damit ist Dr. Olaf Blanke weltweit der erste Wissenschaftler, der ein wie er es nennt „FoP“ (Feeling of Presence; dt. Fühlen einer Präsenz) mit Hilfe eines Roboters untersucht hat.

Motivation und medizinische Hintergründe

Die Motivation für Blankes Untersuchungen basiert neben seinem langjährigen Interesse für gruselige Illusionen unter anderem auf einer Entdeckung, die er schon Jahre zuvor 2001/ 2002 während der präoperativen Untersuchung der Hirnfunktionen einer Epilepsiepatientin machte. Jedesmal, wenn er die Region ihres Gehirns elektrisch stimulierte, die für das Einbinden unterschiedlicher sensorischer Signale des Körpers verantwortlich ist, warf die Patientin einen Blick über ihre Schulter, obwohl sie wusste, dass sich niemand hinter ihr befand.

Um im Vorfeld festlegen zu können, welche Regionen des Gehirns für derartige Illusionen verantwortlich sind, verglichen Blanke und seine Kollegen Hirnschäden in zwei Patientengruppen von insgesamt 12 Personen miteinander. Zur ersten Gruppe gehörten vornehmlich Epileptiker, die alle von der Wahrnehmung geisterhafter Präsenzen berichteten. Dabei handelt es sich laut Dr. Blank um ein unheimliches Gefühl, dass sie nicht unbedingt in Gefahr seien, aber diese Präsenz auch nichts Gutes im Schilde führe. Die Personen der zweiten Gruppe ähnelten diesen Patienten im Grad der Schwere ihrer neurologischen Erkrankungen und Halluzinationen, hatten jedoch keine Erfahrung mit Präsenzen. Bei der bildlichen Hirnbetrachtung stellte sich heraus, dass jene Patienten, die „Geister“ fühlten, oftmals Verletzungen der frontoparietalen Hirnrinde, des temporoparietalen Übergangs und der Inselrinde aufwiesen, also jener Bereiche, die Bewegungen kontrollieren und sensomotorische Signale des Körpers verarbeiten und damit für die Selbstwahrnehmung zuständig sind. Die Forscher gingen davon aus, dass solche Verletzungen eine gestörte Darstellung des Gehirns vom eigenen Körper zur Folge haben, so dass Patienten fälschlicherweise den Eindruck gewinnen, dass nicht sie selbst Empfindungen, wie Berührung, erzeugen, sondern jemand anderes. Dafür spricht unter anderem, dass die halluzinierten Präsenzen für gewöhnlich die gleiche Position wie die Halluzinierenden einnahmen: Stand der Patient, stand auch die Präsenz. Saß der Patient, saß die Präsenz ebenfalls.

Experimentaufbau und Vorgehen

Um dieser Theorie auf den Grund zu gehen und herauszufinden, ob FoP auch bei gesunden Probanden erzeugbar ist, konstruierte der Roboteringenieur Giulio Rognini (ebenfalls Eidgenössische Technische Hochschule ETH in Lausanne) ein „Meister-Sklave-Robotersystem“, das aus einem mechanischem Arm, dem „Meister“, und einer „Sklaven“-Komponente, d.h. einem weiteren Roboterarm, besteht, der hinter den Experimentteilnehmern platziert wurde und die Bewegungen des „Meisters“ nachahmte.

Experimentaufbau Dr. Olaf Blanke

Copyright: Current Biology

 

Die Probanden, deren Augen und Ohren zunächst bedeckt wurden, steckten zur Interaktion ihren Zeigefinger in den Meister-Arm und führten zum Beispiel eine Anstupsbewegung aus. Diese wurde vom Sklaven-Arm zeitgleich ausgeführt, so dass die Probanden das Gefühl hatten, sich selbst in den Rücken zu piken.

Simultanes Auslösen des Sklaven-Arms

Copyright: Current Biology

In einer weiteren Einstellung des Systems war die Bewegungsnachahmung des Sklaven-Arms um eine halbe Sekunde verzögert, was dazu führte, dass die Teilnehmer die Berührung nun als Berührung durch eine unsichtbare Präsenz wahrnahmen, die scheinbar hinter ihnen lauerte.

Verzögertes Auslösen des Sklaven-Arms

Copyright: Current Biology

Wichtig ist dabei, dass die Probanden zwar alle wussten, wie das Robotersystem funktioniert, jedoch nicht, dass sie auf geisterhafte Erfahrungen getestet wurden. Laut Rognini sprachen mehrere der Probanden von einem gespenstischen und gruseligen Empfinden, obwohl ihnen bewusst war, woher die verzögerten Berührungen ursprünglich stammten. Merkwürdiger wurde es, wenn die Probanden aufzählen sollten, wie viele Personen sich in ihrer unmittelbaren Nähe befanden (ihnen wurde zuvor erklärt, dass von Zeit zu Zeit einige Experimentatoren auf sie zukommen könnten). Jene, die den verzögerten Experimentaufbau nutzten, zählten im Durchschnitt eine Person mehr als jene, die eine zeitgleiche Ausführung ihrer Bewegungen durch den Sklaven-Arm erfuhren. Es befanden sich dabei in jedem Fall vier Wissenschaftler im Raum, von denen sich jedoch keiner den Experimentteilnehmern genähert hatte.

Erkenntnisse

Laut Blanke „[…] berichteten 30% der gesunden Teilnehmer spontan von dem Gefühl, jemanden hinter sich stehen zu haben, der sie berührt.“. Die Forscher vermuten, dass das Gehirn eines Probanden, der den Meister-Arm durch seinen Finger in Bewegung setzt, im selben Moment eine Berührung auf dem Rücken erwartet. Die Verzögerung dieser Berührung bewirkt jedoch eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Gehirns und den tatsächlich empfangenen sensorischen Signalen. Dadurch wird die Einbindung dieser Signale zur Darstellung des eigenen Körpers durch das Gehirn gestört und die Illusion geschaffen, das jemand anderes für die Berührung verantwortlich sein muss.

Wissenschaftler nehmen schon lange an, dass Patienten Stimmen hören oder das Gefühl haben, sie könnten ihren eigenen Körper nicht kontrollieren, weil ihre Gehirne daran scheitern, Körpersignale richtig einzubinden. Blanke sieht deshalb in seinen Untersuchungen das Potenzial, die Biologie mentaler Krankheitsbilder, wie schizophrene Halluzinationen, oder den Mechanismus anderer neurologischer Störungen besser verstehen zu können.

Die Forscher arbeiten momentan an einem Robotersystem, das mit MRT (Magnetresonanztomografie) ausgestattet ist, um genau studieren zu können, was im Gehirn eines gesunden Menschen geschieht, wenn dieser eine Präsenz fühlt und um zu testen, wie Schizophreniepatienten auf verzögerte Berührungen reagieren.

Zusammenfassung

  • Das Empfinden geisterhafter Präsenzen beschäftigt Neurowissenschaftler bereits seit einiger Zeit.
  • Mit Hilfe des God Helmet untersuchte Dr. Persinger die gestörte Selbstwahrnehmung von Personen mittels Magnetfeldern und fand heraus, dass Präsenzen aus einer fehlerhaften Verarbeitung von sensorischen Signalen des Körpers durch das Gehirn resultieren.
  • Olaf Blanke und sein Team führten ein ähnliches Experiment durch, nutzen dazu jedoch weltweit erstmalig ein eigens konstruiertes Robotersystem.
  • Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stimmen mit den Grunderkenntnissen von Dr. Persinger überein, zumindest darin, dass das Gehirn eine wesentliche Rolle in der Wahrnehmung von Präsenzen spielt.
  • Blanke hofft, dass weitere Untersuchungen und der zusätzliche Einsatz von MRT Aufschlüsse darüber geben, wie mentale Krankheiten und Halluzinationen besser verstanden werden können.

Quellen