Wie folienartige Muskelroboter neue Räume für die Robotik erschließen
von Roboterwelt Redaktion 05. August 2025
Ein robotisches System auf Dünnfilm-Basis zeigt, wie bionische Aktuatorik und Soft Robotics die Navigation durch millimeterkleine Spalten ermöglichen – mit weitreichender Bedeutung für Rettung, Medizin und Hightech-Inspektionen.
Bioinspiration trifft Funktionalität: Neue Ansätze in der Soft Robotics
Starre Robotik stößt dort an Grenzen, wo Beweglichkeit, Miniaturisierung und Anpassungsfähigkeit gefragt sind. Dünnfilm-Roboter auf Basis weicher Materialien und bioinspirierter Aktuatoren verändern dieses Paradigma. Sie bieten Lösungen für Aufgaben in Umgebungen, die für klassische Roboter nahezu unzugänglich bleiben.
Möglich machen das kombinierte Fortschritte in Materialwissenschaft, Aktuatordesign und intelligenter Morphologie. Ein Beispiel: Ein neu entwickelter Roboter auf Polymerbasis – nur 0,15 Millimeter dick – der sich durch winzige Spalten bewegt, sich selbst faltet und streckt und nahezu tierische Bewegungskompetenz erlangt.
Fortschritt durch dielektrisch elastische Aktuatoren
Zentral für dieses System sind sogenannte Dielectric Elastomer Actuators (DEA). Diese elektrisch kontrollierbaren Polymerlagen verformen sich unter Spannung und wirken wie künstliche Muskeln. Im Unterschied zu pneumatischen Systemen benötigen sie keine sperrigen Pumpen – nur eine Spannungsquelle.
Vorteile dieser Aktuatortechnologie:
Extrem flache Bauweise für ultradünne Robotik
Schnelle Verformung mit hoher Kraftdichte
Biomechanisch inspiriertes Bewegungsmuster
Die Integration in ein flexibles Kompositsystem erlaubt gezielte Bewegungskontrolle durch lokale Vor-Spannung und mikrostrukturierte Nickfalten. So wird gerichtetes Fortbewegen sogar in engen Rillen realisierbar.
Prinzip der Fortbewegung: Die Roboterraupe auf Elektro-Basis
Die Fortbewegung basiert auf peristaltischen Mustern, vergleichbar mit der kriechenden Bewegung von Wurmarten oder Raupen. Kleine Verformungsschübe erzeugen eine sequenzielle Kontraktion entlang der Längsachse.
Inchworm-Technik: periodische Streckung nach vorne, gefolgt von Rückenzug
Lokale Faltung für kompakte Deformation bei Hindernissen
Rollbewegung durch gezielte Spannung einzelner Segmente
Aktuell erfolgt die Energieversorgung durch ein filigranes externes Kabel. Forschung an integrierten Hochspannungsmodulen verfolgt tragbare, vollständig autonome Lösungen.
Anwendungsszenarien mit disruptivem Potenzial
Je nach Ausgestaltung können diese Systeme verschiedenste Einsatzfelder erschließen, die bisherige Robotik scheut oder gar nicht adressieren konnte. Besonders relevant sind Gebiete, in denen Zugänglichkeit, Schonung der Umgebung und Flexibilität entscheidend sind.
Trümmererkundung nach Naturkatastrophen oder Gebäudeeinstürzen
Minimal-invasive Diagnostik und Medikamentengabe innerhalb des Körperinneren
Baustrukturanalyse, etwa zur Rissinspektion in Flugzeugrümpfen oder Brücken
Explorative Systeme für geologisch komplexe Umgebungen in der Planetenerkundung
Diese Folienroboter könnten in Zukunft sogar Berührungssensorik für haptische Kartografierung integrieren – ein weiterer Schritt zu taktiler Robotik in komplexem Terrain.
Technologische Herausforderungen am Übergang zur Praxis
So visionär das System ist, so hoch sind einige der technischen Hürden auf dem Weg zur breiten Anwendbarkeit. Zentrale Herausforderungen betreffen vor allem Steuerung, Energieversorgung sowie Materialzuverlässigkeit bei Langzeiteinsatz.
Herausforderung | Potenzielle Lösung |
---|---|
Hochspannung trotz Miniaturisierung | Flexible HV-Inverter, Mikrobatterien |
Nichtlineare Verformungssteuerung | Self-learning Algorithmen, neuronale Controller |
Materialermüdung und Rissbildung | Self-healing Elastomere, Flüssigmetall-basierte Schichten |
Embodied Intelligence – das Zusammenspiel von Materialverhalten und Steuerstruktur – bleibt dabei ein konzeptioneller Schlüsselbegriff für Fortschritte in diesem Segment.
Vergleich: Entwicklungen im globalen Soft-Robotics-Feld
Weltweit entstehen parallel vergleichbare Systeme mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Eine Auswahl bemerkenswerter Ansätze, geordnet nach Bewegungsprinzip:
Harvard: Rollbot mit spiralförmig induzierter Drehbewegung
ETH Zürich: Origami-Faltungen und pneumatische Steuerung
MIT: Mini-Cheetah als High-Speed-Aktuator-Plattform
Carnegie Mellon: Flüssigmetallgetriebene Mikroaktuatoren mit Sensorrückkopplung
Der vorgestellte Folienroboter markiert innerhalb dieses Spektrums eine einzigartige Mini-Konfiguration mit muskelinspirierter Direktansteuerung. Die ultradünne Bauart bei gezielter Verformungssteuerung ist in dieser Synthese einzigartig.
Perspektive: Verschmelzung von Technik und Biologie
Ein langfristiger Entwicklungspfad führt zu biohybriden Systemen, die Bits und Biologie kombinieren. Denkbar sind robotische Einheiten mit lebenden Muskelzellen, direkt gekoppelt an neuronale Steuerungen oder adaptierende Materialhüllen.
Visionäre Konzepte beinhalten:
Mikro-Roboter mit muskelbasiertem Antrieb (bioaktive Skeletalmuskulatur)
Schwarmintelligenz über kooperierende Biegemodule
Integration biologischer Sensorik (z. B. Chemorezeptoren für Diagnostik)
Robotik wird damit zur Grenztechnologie zwischen Materialforschung, Lebenswissenschaften und KI – mit enormen Potential entlang industrieller, medizinischer und explorativer Anwendungslinien.
Fazit: Weiche Technologien für harte Umgebungen
Der folienartige Muskelroboter steht exemplarisch für eine neue Klasse intelligenter Mikroautomaten, die biologische Konzepte in maschinelle Funktion übersetzen. Seine Fähigkeit, sich durch enge Spalten zu bewegen, eröffnet neue Wege für Robotik jenseits der klassischen Kinematik.
Technologisch erfordert das ein Zusammenspiel moderner Aktuatoren, fortschrittlicher Materialsysteme und adaptiver Steuerstrukturen. Die Fähigkeit zur autonom gesteuerten Kriechbewegung kann Rettungstechnik, Medizingeräte und High-End-Inspektion entscheidend verändern.
Was heute ein Demonstrator ist, könnte schon morgen Teil hochspezialisierter Systeme sein – flexibel, klein, energieeffizient und eingebettet in adaptive Netzwerke intelligenter Maschinen.
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Ein ultradünner, muskelinspirierter Roboter aus weichem Polymer zeigt neue Perspektiven der Soft Robotics. Mithilfe von Dielectric Elastomer Actuators navigiert er durch millimeterkleine Räume – mit hoher Relevanz für Anwendungen in Rettung, Medizin, Industrie und Raumfahrt. Trotz technologischer Herausforderungen verspricht diese Entwicklung eine disruptive neue Roboterklasse.
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Roboterwelt Redaktion