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Humanoide Roboter

Wie Atlas Bewegungsintelligenz neu definiert

von Roboterwelt Redaktion 20. Juli 2025

Er gehört zu den beeindruckendsten humanoiden Maschinen der Welt: der Atlas-Roboter von Boston Dynamics. Seine Fähigkeit, komplexe akrobatische Bewegungen dynamisch und balanciert auszuführen, markieren einen Meilenstein in der Robotertechnik. Doch was steckt genau hinter seinem Können? Eine fundierte Analyse liefert Antworten – von der Aktuierung über Sensorik bis hin zur KI-gestützten Bewegungssteuerung. 

Fortschrittliche Mechanik für agile Bewegungen

Atlas basiert auf einer hochoptimierten mechanischen Struktur mit 28 hydraulisch betriebenen Freiheitsgraden. Für Bewegungen wie Saltos, Sprünge oder das dynamische Reagieren auf unebenes Terrain ist diese Architektur essenziell. Hydraulische Aktuatoren liefern eine hohe Leistungsdichte, was schnelle, kräftige Bewegungen bei gleichzeitig kompakter Bauweise ermöglicht. Eine zentrale Wirbelsäulenaktuierung erhöht die Flexibilität des Oberkörpers, was sich besonders beim Balancieren oder bei schnellen Richtungswechseln auszeichnet. Gesteuert wird das Aktuatorsystem durch ein hybrides Setup aus Elektronik, Onboard-Sensorik und einem präzise kalibrierten Hydrauliknetz. 

Präzise Umweltwahrnehmung durch moderne Sensorfusion

Ein Zusammenspiel aus LiDAR, Stereokameras und inertialen Messeinheiten versorgt Atlas mit einer genauen 3D-Karte seiner Umgebung. Ergänzt wird dieses System durch Drucksensorik in den Füßen, die eine präzise Bodenerkennung erlaubt. Diese Daten fließen in eine Echtzeitverarbeitung, die über Multi-Sensor-Fusion kontinuierlich ein konsistentes Weltmodell generiert. Dadurch kann der Roboter Hindernisse erkennen, unvorhersehbares Terrain adaptiv einschätzen und seine Bewegungen entsprechend anpassen. Die Sensordaten dienen nicht nur der Lokalisierung, sondern auch als Grundlage für visuo-motorische Entscheidungen bei der Interaktion mit der Umgebung. 

Modellbasierte Steuerung für kontrollierte Dynamik

Im Zentrum der Bewegungssteuerung steht die Whole-body Control (WBC) mit modellprädiktiven Algorithmen. Diese nutzen physikalisch konsistente Vorhersagen, um komplexe Bewegungen mit Echtzeitfeedback zu planen und auszuführen. Kräfte, Momente und Gelenkstellungen werden dabei simultan koordiniert, was eine natürliche Koordination des gesamten Körpers ermöglicht. Typische Resultate sind präzise Sprünge, schnelle Balancekorrekturen und flüssige Übergänge zwischen Bewegungsphasen. In Instabilitätssituationen erlaubt das Steuerkonzept eine autonome Neupositionierung der Körperstruktur zur Wiederherstellung des Gleichgewichts. 

Bewegungsfähigkeiten im Überblick

Atlas demonstriert mit beeindruckender Bandbreite, wie vielseitig dynamische Lokomotion auf humanoider Basis sein kann. 

Bewegungshighlights: 

  • Rückwärtssaltos, 360°-Drehungen und Parkoursprünge 

  • Stabiles Gehen und Treppensteigen auf unebenem Gelände 

  • Seitliche Sprünge mit Stoßausgleich 

  • Objektinteraktion beim Laufen über unruhigen Untergrund 

Manipulative Fähigkeiten: 

  • Präzises Greifen und Platzieren mittels visueller Pfadplanung 

  • Übergabe von Werkzeugen im Bewegungskontext 

  • Koordination mehrgelenkiger Greifstrukturen mit Kraftfeedback 

KI als Verstärker der motorischen Autonomie

Zur Steigerung der Effizienz und Adaption kommen maschinelle Lernverfahren zum Einsatz. Dazu zählen Deep Reinforcement Learning zur autonomen Optimierung von Bewegungssequenzen sowie Imitation Learning zur Übernahme menschlicher Vorlagen. Simulationen innerhalb digitaler Experimentalumgebungen (z. B. MuJoCo) erlauben das gefahrlose Pre-Training physischer Bewegungsmuster. Bewegungsdaten aus der Simulation werden durch Real-World-Feedback kontinuierlich angepasst. So verbessert Atlas nicht nur seine Leistung, sondern lernt auch, energetisch günstige oder biomechanisch stabilere Gangmuster ökonomisch zu bevorzugen. 

Einsatzpotenziale mit Zukunftsperspektive

Aktuelle Iterationen zeigen das Potenzial von Atlas für Anwendungen weit über Demonstrationszwecke hinaus. 

Mögliche Einsatzbereiche: 

  • Erkundung und Rettung in zerstörten Infrastrukturen 

  • Assistierende Aufgaben in gefährlichen Industrieumfeldern 

  • Ferngesteuerte oder teilautonome Operationen im Verteidigungsbereich 

  • Experimentelle Mensch-Roboter-Interaktion für kooperative Manipulation 

Aktuelle Herausforderungen: 

  • Energieintensiver Hydraulikbetrieb reduziert Mobilautonomie 

  • Hohe Kosten limitieren wirtschaftliche Skalierung 

  • Interaktionsfähigkeiten noch unter spezialisierten Greifrobotern 

  • Nur teilautonome Bewegungsplanung bei komplexen Sequenzen 

Vergleich mit humanoiden Robotersystemen

Ein Vergleich mit anderen humanoiden Robotern verdeutlicht die Stärken von Atlas insbesondere im Bereich der dynamischen Mobilität: 

PlattformBewegungsumfangLokomotionManipulationAutonomielevel
Atlas (Boston D.)Hochgradig dynamischJaEingeschränktSemi-autonom
Honda ASIMOStabil, begrenzt dynamischEingeschränktEingeschränktTeilautonom
Digit (Agility R.)Effizient laufendJaEingeschränktSemi-autonom
THR-3 (Toyota)Menschähnliche SteuerungEingeschränktGut (Teleop)Teleoperiert

Der neue Atlas: elektrisch, leise, industrietauglich

2024 kündigte Boston Dynamics eine neue Version des Atlas-Roboters an – erstmals vollständig elektrisch. Damit reagiert das Unternehmen auf Anforderungen nach mehr Energieeffizienz, Geräuschreduktion und einfacher Integrierbarkeit in industrielle Abläufe. Während die bisherige Version primär als Forschungsplattform diente, signalisiert der neue Atlas eine stärkere Ausrichtung auf praxisnahe Robotiklösungen. Als Ziel gilt eine generalisierte Plattform, die anpassbar für verschiedene Aufgaben wie Fertigung, Montage oder Logistik ist. Die Balancefähigkeit und Bewegungsintelligenz bleiben dabei zentrale Alleinstellungsmerkmale. 

Fazit

Der Atlas-Roboter verkörpert einen Paradigmenwechsel in der humanoiden Robotik. Wo traditionelle Plattformen Stabilität als oberstes Ziel verfolgten, zeigt Atlas, dass Dynamik, Reaktionsschnelligkeit und Bewegungskompetenz mit technischer Präzision vereinbar sind. Die Kombination aus hydraulischer Aktuierung, präziser Sensorik, lernbasierter Bewegungsplanung und visuo-motorischer Steuerung hebt ihn auf ein neues Leistungsniveau. Mit dem neuen elektrischen Nachfolger markiert Boston Dynamics den Schritt in eine industrielle Zukunft, in der humanoide Roboter nicht nur imitieren, sondern eigenständig handeln. 

Zusammenfassung
  • Glühbirne

    Atlas von Boston Dynamics zählt zu den dynamischsten humanoiden Robotern weltweit. Eine Kombination aus hydraulischer Hochleistungstechnik, Echtzeitsensorik, modellbasierter Steuerung und KI-gestütztem Bewegungslernen ermöglicht komplexe Akrobatik, adaptives Balancieren und sogar Assistenzhandlungen. Während frühere Roboter auf Stabilität fokussierten, liegt die Stärke von Atlas in seiner körperlichen Intelligenz. Die elektrisch betriebene Nachfolgegeneration baut auf diesen Fähigkeiten auf – mit dem Ziel, in reale Industrieprozesse einzuziehen. 

Autoren
  • Roboterwelt Redaktion Roboterwelt Redaktion